Mentaltraining

Stress lass nach

Ein Termin jagt den nächsten. Der Kopf rattert auf dem Weg in den Stall. Eigentlich bin ich schon viel zu spät dran. Auf meiner To-Do-Liste ist noch vieles unerledigt. Mach ich heute eben mal wieder das Kurzprogramm. Hoffentlich treffe ich nicht so viele, die mich in ein Gespräch verwickeln. Womöglich ist mein Pferd noch auf der Weide und sehr dreckig. Das kostet mich alles Zeit – viel zu viel Zeit – und die hab ich heute nicht.

Fühlt sich jemand angesprochen? Dann gerne weiterlesen. Falls nicht – gratuliere, du machst anscheinend vieles genau richtig!

Stress ist ein Thema das uns in fast allen Lebensbereichen berührt. Was jeder einzelne als „Stress“ empfindet ist völlig unterschiedlich und individuell. Kleines Beispiel: Eine Ärztin arbeitet auf der Intensivstation und operiert fast täglich einige Stunden. Sie ist immer konzentriert, weiß genau was zu tun ist und bringt die OP‘s erfolgreich zu Ende. Sie liebt diese Arbeit, fühlt sich nicht negativ gestresst. Diese Art von Stress ist für sie positiv, pusht sie zu Höchstleistungen, weil sie Menschen helfen kann. Das ist ihre Motivation. Dieselbe Ärztin wird abends zu einer Party eingeladen. Konversation im Privatbereich führen ist so gar nicht ihr Ding. Sie stresst sich schon im Vorfeld und befürchtet dass sie sich blamiert: Was soll ich nur anziehen? Ich hab eh nichts Passendes für diesen Anlass. Mit wem soll ich mich unterhalten und über was? Was wenn mir nichts einfällt usw. Sie stresst sich selbst!

Das Gegenteil: Ein junger Mann wird auf eine Party seines Kollegen eingeladen, wo er niemand kennt. Er ist ein bisschen aufgeregt, freut sich aber auf einen tollen Abend, an dem er neue Menschen kennenlernt. Gut gelaunt geht er hin und der Abend wird großartig – genauso wie er es sich vorgestellt hat. Einige Tage später soll er eine Präsentation halten. Alle Kollegen und sein Chef werden anwesend sein. Er hat das noch nie gemacht und findet, dass ihm so etwas schwer fällt. Er bereitet sich deshalb besonders gut vor, um alles richtig zu machen. Trotzdem sieht seine Gedankenschleife im Vorfeld etwa so aus: Mir fällt es total schwer, vor dem ganzen Team meine Präsentation zu halten. Hoffentlich versagt meine Stimme nicht. Bestimmt bemerkt jeder, dass ich aufgeregt bin. Was wenn jemand eine Frage stellt und ich sie nicht beantworten kann? Oder keiner versteht, was ich meine? Dann blamiere ich mich vor allen usw. Er stresst sich selbst!

Die sogenannten „Stressoren“ – Faktoren, die Stress auslösen – sind ganz individuell.

Die eigene Einstellung zu einer bestimmten Sache/Aufgabe/Herausforderung entscheidet über unsere Reaktion. Wenn ich glaube bzw. einmal gelernt habe, dass ich mein Ziel nur durch viel Einsatz/viel Stress erreichen kann, generiere ich mir mehr Stress.  Wenn ich glaube, dass zu viel Entspannung mein Ziel verhindern bzw. ich es dadurch nicht erreichen kann, gönne ich mir nie eine Pause ohne schlechtes Gewissen. Ich verhindere alles, was mit Entspannung zu tun hat. Immer das wo ich meine Energie/Gedanken hinschicke, wird größer!

Wichtig ist es herauszufinden, wie meine Einstellung ist bzw. wie ich denke, dass die Welt funktioniert. Da geht es um Prägung durch das Elternhaus, Freundeskreis, Schule, Ausbildung, Studium usw.

Ein Antreiber kann z.B. sein: Ich muss alles alleine schaffen!

Hier kann ich sehr gut einen Bogen zu unserem Pferd schlagen. Wie oft findet man sich – aus welchem Grund auch immer (junges Pferd, verletztes Pferd, unsicheres Pferd, unausgebildetes Pferd etc.) schnell in einer Situation, die einen verunsichert oder sogar Angst auslöst. Man behält seine Gefühle erst mal für sich – will sich nicht outen. Schämt sich dafür, dass man nicht mit seinem Pferd umgehen kann. Fühlt sich als Versager. Innerlich gestresst fährt man nach Hause. Immer und immer wieder geht einem das gleiche Bild der Schrecksituation durch den Kopf. Abends, nachts, morgens, tagsüber. Bei der nächsten Fahrt in den Stall fühlt man sich schon etwas mulmig. Aber das schaff ich schon. Wird schon wieder. Tag 2 und an den Folgenden spitzt sich die Situation zu. Der Stress wird größer. Ich wiederhole mich: Immer das wo ich meine Energie/Gedanken hinschicke, wird größer.  

In dieser Situation wäre es ratsam sich helfen zu lassen. Genau zu überlegen: Welche Ressourcen habe ich? Wen kann ich um Hilfe fragen? Wer kann mir Sicherheit geben? Wer hat evtl. selbst schon mal eine solche Situation gemeistert. Wem kann ich mich anvertrauen? Solange ich mir dem Glaubenssatz: Ich muss alles alleine schaffen! nicht bewusst bin, und ihn verändere, werde ich weitermachen wie bisher. Diese oder ähnliche Situationen belasten den ein- oder anderen Pferdebesitzer oft über Wochen oder Monate. Kommt dann im privaten oder beruflichen Bereich noch Stress dazu, reagiert man gereizt, fühlt sich fremdbestimmt und alles wird schnell mal zu viel.

Unsere Pferde sind hochempathische Wesen. Sie spüren in den ersten Sekunden des Zusammenseins, in welcher inneren Stimmung wir uns befinden. Sie lieben es, wenn wir klar kommunizieren. D.h. wir uns sicher sind, was wir auf welche Hilfe von ihnen erwarten. Bin ich mir darüber im Klaren, was ich will – egal in welchem Lebensbereich – kann ich das meinem Gegenüber (egal ob Zwei- oder Vierbeiner) auch klar, präsent und ruhig vermitteln.

Ich bin mir sicher, vertraue mir und das strahle ich aus. Dieses Gefühl immer öfter zu erreichen fühlt sich wieder nach mehr Leichtigkeit und Selbstbestimmtheit im Alltag an. Geht es mir gut, spürt das mein gesamtes Umfeld. Mein Arbeitspensum bleibt das gleiche – ob ich es mit einer positiven Einstellung und in einem guten Gefühl erledige oder ob ich oft gestresst und gereizt reagiere. Meine Entscheidung!

Gesunder Umgang mit Stress ist keine „Raketenwissenschaft“. Voraussetzung dazu ist allerdings die Bereitschaft für Veränderung.